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Wer ist Erbe und wer ist Vermächtnisnehmer? Ein unklares Testament stiftet Verwirrung!

Von: Dr. Georg Weißenfels

AG Hameln – Beschluss vom 10.02.2023 – 19 VI 147-22 

  • Ehepaar klärt in seinem Testament nicht, wer Erbe werden soll
  • 50% ihres Vermögens vermachen die Eheleute an einen Verein
  • Obwohl der Verein nicht so bezeichnet wird, ist er Erbe der Eheleute

Das Nachlassgericht Hameln hatte in Anbetracht eines unklaren Testaments über einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins zu entscheiden.

In der Angelegenheit hatte ein Ehepaar am 04.12.2002 ein gemeinschaftliches Testament errichtet.

Dieses Testament hatte folgenden Wortlaut:

Nach unserem Tode setzen wir uns gegenseitig zu Alleinerben ein.
Nach dem Tode des Überlebenden sollen folgende Personen unseren Nachlass erben:

Das Geld in den Stadtsparkassen und bei der Postbank sollen der Reihe nach erben:
1. 30.000 EU unsere Nichte A
2. 30.000 EU unsere Nichte B, dazu unsere Ferienwohnung und das Auto VW Golf,
3. 30.000 EU unser Neffe C
Das übrige Geld vermachen wir dem SOS Kinderdorf

Der Ehemann verstarb in der Folge und wurde von seiner Ehefrau alleine beerbt.

Die Eheleute besitzen Vermögen im Wert von über 250.000 Euro

Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bestand das Vermögen des Ehepaares aus folgenden Positionen:

  • Kontoguthaben 210.800 Euro
  • Personenkraftwagen: 17.000 Euro
  • Ferienwohnung: 25.000 Euro.

Nach dem Ableben der Ehefrau im Jahr 2021 beantragte eine der in dem Testament benannten Nichten beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins.

Erbschein soll nur drei Erben ausweisen

Dieser Erbschein sollte die beiden Nichten A und B sowie den Neffen C als Erben zu je 1/3 aufgrund des Testaments ausweisen.

Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag der Nichte mit dem Hinweis als unbegründet zurück, dass vorliegend auch das SOS Kinderdorf als Erbe anzusehen sei.

Dabei sei es, so das Gericht, nicht entscheidend, dass die Eheleute in ihrem Testament angeordnet hätten, dass die Nichten und der Neffe etwas „erben“ sollten, während dem SOS Kinderdorf in dem Testament lediglich etwas „vermacht“ wurde.

Die Wortwahl im Testament ist nicht entscheidend

Die Bezeichnung der Nichten und des Neffen stelle „kein zwingendes Indiz für die juristische Einordnung der Testierung dar.“

Juristischen Laien seien die Bedeutung der Begriffe „vererben“ und „vermachen“ oft nicht geläufig.

Um den wirklichen Willen eines Erblassers zu ermitteln, sei auch das Wertverhältnis der einzelnen Zuwendungen entscheidend.

Das SOS Kinderdorf soll fast 50% des Vermögens erhalten

Zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinsamen Testaments verfügten die Eheleute über ein Vermögen im Gesamtwert von 252.800 Euro.

Nach den Bestimmungen des Testaments ordneten die Eheleute dem SOS Kinderdorf einen Betrag in Höhe von 120.800 Euro oder 48% des Nachlasswertes zu.

In Anbetracht dieser Beteiligung sei nicht davon auszugehen, dass es dem Willen der Eheleute entsprochen habe, dem SOS Kinderdorf lediglich die Rolle eines Vermächtnisnehmers zuzuweisen.

Für eine Erbenstellung des SOS Kinderdorf würde weiter auch die Vorschrift in § 2087 Abs. 1 BGB sprechen.

Nach § 2087 Abs. 1 BGB sei eine Verfügung in einem Testament nämlich selbst dann als Erbeinsetzung anzusehen, wenn der Erblasser, ohne den Bedachten als Erbe zu bezeichnen, sein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens dem Bedachten zugewendet hat.

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