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Erbunwürdigkeit einer Erbin wird durch Versäumnisurteil festgestellt – Ist das Nachlassgericht im Erbscheinverfahren an diese Entscheidung gebunden?

Von: Dr. Georg Weißenfels

BGH – Beschluss vom 26.04.2023 – IV ZB 11/22

  • Tochter des Erblassers will die Erbunwürdigkeit der Ehefrau des Erblassers gerichtlich feststellen lassen
  • Die Ehefrau beteiligt sich nicht an dem Gerichtsverfahren, kassiert ein Versäumnisurteil und wird für erbunwürdig erklärt
  • Gestützt auf dieses Versäumnisurteil beantragt und erhält die Tochter einen Erbschein als alleinige Erbin

Der Bundesgerichtshof hatte das Verhältnis zwischen einem Urteil, das in einem Zivilprozess ergangen war, und einer nachfolgenden Entscheidung in einem Erbscheinverfahren zu klären.

In der Angelegenheit war ein Erblasser am 09.11.2018 verstorben.

Der Erblasser hatte gemeinsam mit seiner Ehefrau handschriftlich ein gemeinsames Testament errichtet, in dem sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten.

Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit gegen die Ehefrau des Erblassers

Im Juli 2020 erhob die einzige Tochter des Erblassers Klage gegen die Ehefrau des Erblassers.

Ziel dieser Klage der Tochter war es, die Erbunwürdigkeit der Ehefrau feststellen zu lassen.

Zur Begründung dieser Klage warf die Tochter der Ehefrau vor, diese habe einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen zur Erstellung des Testaments nach dessen Tod verwendet.

Erbunwürdigkeitsklage endet mit Versäumnisurteil

Inhaltlich musste sich das angerufene Gericht mit diesem Vorwurf nie auseinander setzen, weil sich die Ehefrau an dem von der Tochter angestrengten Klageverfahren nicht beteiligte.

Das von der Tochter angestrengte Verfahren endete mit einem rechtskräftigen Versäumnisurteil, mit dem die Erbunwürdigkeit der Ehefrau festgestellt wurde.

Nach Erlass dieses Versäumnisurteils beantragte die Tochter beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins, der die Tochter als alleinige Erbin ausweisen sollte.

Diesen Erbscheinsantrag begründete die Tochter mit Hinweis auf das gegen die Ehefrau ergangene Versäumnisurteil, mit dem die Erbunwürdigkeit der Ehefrau festgestellt wurde.

Ehefrau verweist auf Traumatisierung im Zivilprozess

An diesem Erbscheinverfahren beteiligte sich die jetzt auch die Ehefrau und verwies darauf, dass sie in der Zeit, in der das Verfahren zur Feststellung ihrer Erbunwürdigkeit geführt wurde, stark traumatisiert gewesen sei und keinerlei Gerichtspost geöffnet habe.

Das Nachlassgericht ließ sich von diesen Argumenten der Ehefrau aber nicht beeindrucken und stellte fest, dass die Tochter den beantragten Erbschein als alleinige Erbin erhält.

Die von der Ehefrau gegen diese Entscheidung des Nachlassgerichts zum Oberlandesgericht eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Ehefrau legt Rechtsbeschwerde zum BGH ein

Gegen die Entscheidung des OLG, mit dem ihre Beschwerde abgewiesen wurde, zog die Ehefrau im Rahmen einer Rechtsbeschwerde vor den Bundesgerichtshof.

Der BGH wies auch die Rechtsbeschwerde als unbegründet ab.

Der BGH entschied die Frage, ob das Nachlassgericht im Erbscheinverfahren an ein vorangegangenes Versäumnisurteil gebunden sei, zugunsten der Tochter des Erblassers und zulasten der Ehefrau.

BGH: Die Entscheidung zur Erbunwürdigkeit ist bindend

Für das Erbscheinverfahren, so der BGH, müsse bindend davon ausgegangen werden, dass die Ehefrau erbunwürdig ist.

Damit sei die Tochter alleinige Erbin des Erblassers.

Eine Bindung des Nachlassgerichts an ein vorangegangenes Versäumnisurteil in einem Zivilprozess würde zwar von diversen Literaturmeinungen in Zweifel gezogen, da es gegen die Amtsermittlungspflicht in nachlassgerichtlichen Verfahren verstoßen würde.

Dieser Meinung folgte der BGH aber ausdrücklich nicht.

Würde man ein in einem Verfahren zur Feststellung der Erbunwürdigkeit  ergangenes Versäumnisurteil in einem nachfolgenden Erbscheinverfahren ignorieren, so hätte es, so der BGH,  der betroffene Erbe in der Hand, durch seine Säumnis im Zivilprozess die Berücksichtigung des zur Erbunwürdigkeit führenden Sachverhaltes im Erbscheinverfahren dauerhaft zu verhindern.

Tochter hat ihre Rechtsstellung auch nicht sittenwidrig ausgenutzt

Das Nachlassgericht dürfe die Voraussetzungen einer Erbunwürdigkeit nämlich selbst nicht prüfen, dies müsse zwingend im Zivilprozess in einem Feststellungsverfahren geschehen.

Der BGH führte schließlich auch noch aus, dass der Berücksichtigung des Versäumnisurteils auch nicht die Vorschrift des § 826 BGB entgegenstehen würde, mit dessen Hilfe in extremen Fällen die Rechtskraft eines Erbenfeststellungsurteils durchbrochen werden könne.

Hierzu müsste festgestellt werden, dass es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, wenn jemand seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage ausnutzt.

Die Voraussetzungen für einen solchen Ausnahmefall sahen die Richter am BGH nicht als gegeben an.

Nach dieser Entscheidung des BGH schied die Ehefrau des Erblassers tatsächlich aus der Erbfolge nach ihrem Mann aus, wenngleich die gegen die Ehefrau erhobenen Vorwürfe zu keinem Zeitpunkt inhaltlich überprüft worden waren.

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